Künstler im Skulpturenpark

Carsten Höller

* 1961 in Brüssel/Belgien, lebt in Köln und Stockholm/Schweden

Vor zehn Jahren, rechtzeitig zum ersten zweistelligen Jubiläum der Gerisch-Stiftung, hatte Carsten Höller hier eine große Einzelausstellung. Manche mögen sich noch erinnern an das in Schneckentempo rotierende Kinderkarussell oder an Anekdoten von Dompfaffen, auf die Höller anspielte. Diesen, so will es die Legende hatte der Baron und Vater aller Vogelforschung, Johann Ferdinand Adam von Pernau, selbst komponierte Melodien beigebracht. Damit wollte er erreichen, dass sich ihm das Herz seiner Angebeteten öffnet. Was ihm auch gelang. Doch die nachhaltigste Erinnerung an Höllers Ausstellung treffen wir noch heute auf dem Stiftungsgelände an. Genauer: im Kräutergarten des einst von Harry Maasz angelegten Landschaftsgartens. Dort erwartet uns eine unheimliche Begegnung der „dritten Art“: der 3,50 Meter hohe Giant-Triple-Mushroom. Ein gigantischer Pilz, dessen Hut eine Melange aus drei verschiedenen Pilzen darstellt. Er wirkt so verzaubert, dass wir uns schon bald wie Hänschen im Blaubeerwald vorkommen. Dass Res Ingold nur wenige Meter Luftlinie entfernt einen Helikopter-Landeplatz errichtet hat, macht seine Präsenz umso erratischer. Was hat dieser Pilz da verloren inmitten eines zum Märchenwald umgewandelten Reformgartens und doch so nah an der modernen Zivilisation?

 

Zuvor schon hatte Carsten Höller bewiesen, dass seine Kunst be- und verzaubern kann. 2006 hatten nicht nur die Jüngsten ihren Spaß an gigantischen Rutschen, die er in der Turbinenhalle der Tate Modern in London installierte. Und nach seiner Gerisch-Schau ließ er Rentiere in Berlins Hamburger Bahnhof äsen und grasen. Nebenbei erinnerte er mit ihrem von Fliegenpilz getränkten Urin an den magischen Zaubertrank Soma der vedisch-indischen Überlieferung. Oft sind es Pflanzen, Tiere und Kinder, die uns Einblicke in das künstlerische Reservoir von Carsten Höller gewähren. Er holt viel aus ihren Welten, um sie für uns und in uns neu begehbar zu machen.

 

„I’m very interested“, bemerkte Höller einmal, „in the idea of the double, not as a way of questioning reality – what’s real or what’s fake – but of taking away certainty. It’s an attitude that there could be two things at the same time. You don’t have to make a decision; you could live with both options.“ Das Zitat liefert uns, wenn schon nicht einen Generalschlüssel, so doch zumindest einen gewöhnlichen Türschlüssel zu seiner Kunst. Sie will uns nämlich erleichtern, indem sie uns die Gewissheit und Illusion von der einen, einzigen und objektiven Wahrheit raubt, der gegenüber uns die alltägliche Wirklichkeit wie Lug und Trug erscheint. Höllers alternative Aussicht „you could live with both options“ können wir in Hinblick auf seinen Giant-Triple-Mushroom damit um weitere Optionen bereichern. Das zeigen uns die drei Torten- , pardon Teilstücke seines überdimensionalen Huts. Dasjenige vom Fliegenpilz ist giftig, ungenießbar, aber – so sagt man – auch halluzinogen. Das zweite, ein Speisemorchel, ist genießbar, während das dritte im Bunde vom Violetten Rötelritterling stammt. Letzterer ist ein ganz fieser Kerl, nämlich harmlos, aber doch leicht mit sehr ambivalenten Pilzen zu verwechseln. Die Optionen, die uns dieser Pilz bietet reichen also von quälendem Dahinsiechen über Rausch, Genuß und Leibgericht bis hin zu einem riskanten Spiel mit dem eigenen Leben. Alles wahr und alles richtig. Nun haben Sie die Qual der Wahl: Treten Sie ein in den Zauberwald an der Brachenfelder Straße in Neumünster.

 

Wolf Jahn (Aus: OutsideInside - 20 Jahre Herbert Gerisch-Stiftung)

  • CH_Triple Mushroom
    Carsten Höller, Giant-Triple-Mushroom, 2011, Styropor, Polyesterfarbe, Polyesterharz, Acrylfarbe, Drahtkern, Spachtelmasse, Hartschaumstoff, Stahl, 350 cm hoch, Foto: Jens Sauerbrey
  • Carsten Höller, Giant-Triple-Mushroom
    Carsten Höller, Giant-Triple-Mushroom, 2011, Styropor, Polyesterfarbe, Polyesterharz, Acrylfarbe, Drahtkern, Spachtelmasse, Hartschaumstoff, Stahl, 350 cm hoch, Foto: Marianne Obst
  • Carsten Höller, Giant-Triple-Mushroom
    Carsten Höller, Giant-Triple-Mushroom, 2011, Styropor, Polyesterfarbe, Polyesterharz, Acrylfarbe, Drahtkern, Spachtelmasse, Hartschaumstoff, Stahl, 350 cm hoch, Foto: Marianne Obst
  • Carsten Höller, Giant-Triple-Mushroom
    Carsten Höller, Giant-Triple-Mushroom, 2011, Styropor, Polyesterfarbe, Polyesterharz, Acrylfarbe, Drahtkern, Spachtelmasse, Hartschaumstoff, Stahl, 350 cm hoch, Foto: Marianne Obst
  • Carsten Höller, Giant-Triple-Mushroom
    Carsten Höller, Giant-Triple-Mushroom, 2011, Styropor, Polyesterfarbe, Polyesterharz, Acrylfarbe, Drahtkern, Spachtelmasse, Hartschaumstoff, Stahl, 350 cm hoch, Foto: Marianne Obst
  • CH_Reindeer
    Carsten Höller, Reindeer, 2009, Polyurethan, Naturhufe, Glasauge, 10 × 28 × 56 cm, Foto: Jens Sauerbrey
  • CH_Mushroom
    Carsten Höller, Mushroom, 2004, Fotogravüren auf Somerset-Papier, 4 Drucke, je 40,5 × 39 cm, Fotos: Jens Sauerbrey