Künstler im Skulpturenpark

Tina Schwichtenberg

* 1944 in Kiel

… and the winner is? Dieses königliche Spiel mit den großen Figuren in Tarnfarbe taugt nicht zum Turnier, dieser lederne Band I der DDR-Staatsausgabe der Schriften Lenins ist unlesbar mit seinen wie vom Reißwolf zerfetzten Seiten ( 125). Die Kunstsprache der international agierenden und renommierten Bildhauerin und Aktionskünstlerin Tina Schwichtenberg ist plastisch, anschaulich und pointiert.

 

Das gesellschaftlich zugelassene Außenschachspiel ( 124) in der DDR und Wladimir Iljitsch Lenin als Begründer des ersten totalitären Staates im 20. Jahrhundert in Russland – diese beiden Symbole sind schlichtweg überholt, unbrauchbar gemacht und auch geworden. Das eine steht für Sozialismus im Arbeiter- und Bauernstaat und das andere für die schärfere Variante Kommunismus jenseits des Eisernen Vorhangs. Diese überaus geschichtsträchtigen alten Symbole politischer Willkür, dabei authentisch im Material (!), sind hier zu mahnenden, gleichwohl espritvoll verfremdeten Relikten der Ära des Kalten Krieges mutiert, als der antiimperialistische Schutzwall – die Zonengrenze mit Todesstreifen und seit 1961 die Berliner Mauer – die BRD von der DDR trennte als Folge von Naziherrschaft, Zweitem Weltkrieg und alliierter Besatzung. Die Künstlerin erklärt sie hintersinnig ironisch ganz demonstrativ zu Makulatur der Geschichte, die vom ideologischen Gegensatz zwischen dem Ostblock unter der Herrschaft von UdSSR und KPdSU und den Westmächten unter Führung der USA und freiheitlich demokratischer Parteien dominiert wurde.

 

Gleich nach der Wende 1990 hieß es Good bye Lenin, wurden seine Monumente vom Sockel gestürzt, der erbitterte Kampf zwischen Kommunismus und Kapitalismus zerfiel unter Gorbatschows Schlagworten Glasnost und Perestroika. Das über 70 Jahre währende menschenverachtende Experiment kommunistischer Staatsmacht mit unzähligen Millionen Opfern, das auf „hehren“ Ideen von Marx und Engels gefußt hatte, war gescheitert. Kurzum: Der Kapitalismus siegte.

 

Plaste und Elaste, hier auch für Schachfiguren, ist das Material, dem das Odeur von DDR anhaftet wie kaum einem anderen Stoff. In ihrer Acryl-Camouf lage hier sind sie in ihrer Schlachtordnung quasi zur friedlichen Koexistenz verdammt, als Strategiespiel alludieren sie durchaus noch an die politischen Schachzüge in den Verhandlungen zwischen Ost und West. Der damals weltberühmte Werbeslogan Plaste und Elaste aus Schkopau, wo auch in den alten BUNA-Werken die Plaste-Karosserie für die legendäre Rennpappe aus Zwickau, die Einheitsleistung im sozialistischen Autodesign, hergestellt wurde, hallt da noch nach.

 

Wir verifizieren hier semantisch vielschichtig aufgeladene wunde Zeichen ihrer Zeit, die uns mit Blick auf die politischen Systeme heute auf unserem Globus fragen lassen: Sind die Maximen von individueller Freiheit und Ächtung staatlicher Willkür erfüllt? Hat einer gewonnen?

 

Dr. Bärbel Manitz (Aus: OutsideInside - 20 Jahre Herbert Gerisch-Stiftung)

  • Tina Schwichtenberg, Schachspiel
    Tina Schwichtenberg, Schachspiel, 1996, Außenschachspiel DDR, Plaste Elaste aus Zschopau, Acryllack, 32 cm x 32 cm (Figur), Foto: Rolf Johanning
  • TS Lenin
    Tina Schwichtenberg, Lenin-Bibel, 1994, Wladimir Iljitsch Lenin, Ausgewählte Werke, Bd. 1 einer in Leder gebundenen Gesamtausgabe der DDR, Dietz-Verlag, Berlin 1989–1994, Seiten zerschnitten, Foto: Alexander Voss